Vorlage - 2011/029
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Die aktuelle Situation des Öffentlichen Personennahverkehrs und Schülerverkehrs im Landkreis Peine ist von mehreren Faktoren geprägt und lässt verschiedene Handlungsstränge und Szenarien für die weitere Entwicklung zu.
I. Regionale Zuständigkeiten
- Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG)
Die LNVG ist für die Koordination und Bewilligung von Fördermitteln für Investitionen und für die Liniengenehmigung im straßengebundenen ÖPNV zuständig.
Auch die Ausgleichszahlungen des Landes für die preisrabattierten Ausbildungsverkehre im ÖPNV nach § 45a PBefG (z.B. Schülerbeförderung mit Schülerzeitfahrkarten) werden dort beantragt, genehmigt und ausgezahlt.
- Zweckverband Großraum Braunschweig (ZGB)
Der ZGB ist Aufgabenträger nach § 4 Abs. 1 Nr. 1. b) Niedersächsisches Nahverkehrsgesetz (NNVG) und stellt nach § 6 NNVG einen Nahverkehrsplan (NVP) auf, der aktuell aus dem Jahr 2008 datiert und fünf Jahre Gültigkeit hat. Der NVP bildet den Rahmen für die Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs in der Region und definiert das ausreichende Bedienungsangebot.
Die Ausgaben für Erarbeitung, Planung und Umsetzung der Aufgaben und Projekte finanziert der Zweckverband durch eine Verbandsumlage. Diese wird von den Verbandsgliedern aufgrund ihrer Einwohnerzahl und ihrem Steueraufkommen anteilig aufgebracht.
- Verbundgesellschaft Region Braunschweig GmbH;
Verbundtarif Region Braunschweig (VRB)
Die Verkehrsunternehmen sowie der Aufgabenträger ZGB haben sich in einem definierten Verbundtarifgebiet zusammengeschlossen.
Dazu gehören:
- Braunschweiger Verkehrs-AG,
- Deutsche Bahn AG,
- Kraftverkehrsgesellschaft mbH Braunschweig,
- Kraftverkehr Mundstock GmbH,
- Pülm-Reisen GmbH,
- RBB Regionalbus GmbH,
- Reisebüro Schmidt GmbH,
- Verkehrsbetriebe Bachstein GmbH,
- Verkehrsgemeinschaft Peine,
- Verkehrsgesellschaft Landkreis Gifhorn mbH,
- Wolfsburger Verkehrs-GmbH
Das Gebiet umfasst:
- Landkreis Gifhorn
- Stadt Wolfsburg
- Landkreis Helmstedt
- Stadt Braunschweig
- Landkreis Peine, Bahnhöfe Hämelerwald / Dedenhausen
- Stadt Salzgitter
- Landkreis Wolfenbüttel
- Landkreis Goslar
Am 01.November 1998 wurde der Verbundtarif eingeführt.
- Landkreis Peine
Als Träger der Schülerbeförderung ist der Landkreis Peine Ansprechpartner für alle Schülerinnen und Schüler, die ihren Lebensmittelpunkt im Kreisgebiet haben; unabhängig davon, ob sich die zu besuchende Schule innerhalb oder außerhalb des Landkreises Peine befindet.
Grundlage für die Schülerbeförderung ist § 114 des Niedersächsischen Schulgesetzes und darauf aufbauend die Satzung des Landkreises Peine über seine Schülerbeförderung. Die Schülerbeförderung wird im Landkreis Peine durch den ÖPNV bzw. im freigestellten Schülerverkehr (fSV) mit privaten Taxenunternehmen durchgeführt.
II. Situationsbeschreibung 1 Defizitausgleich an den ZGB für die PVG
Die Regionalbus Braunschweig GmbH (RBB – hier für Goslar) und die Peiner Verkehrsgemeinschaft (PVG – für den Landkreis Peine) hatten ihre Mitgliedschaft im VRB zum 31.12.2010 gekündigt. Die Kündigung wurde damit begründet, dass sich die Unternehmen nicht in der Lage sahen, das bisherige Leistungsangebot mit den Verbundeinnahmen eigenwirtschaftlich zu erbringen.
Das Tarifmodell im VRB wird derzeit reformiert (siehe auch zu IV.). Als langfristige Lösung konnte dies nicht bis zum 01.01.2011 umgesetzt werden. Bis zum Jahresende wurde daher eine Lösung entwickelt, die es RBB und PVG ermöglicht hat, im Verbundtarif zu verbleiben.
Für den Landkreis Peine war für das weitere Vorgehen nur die PVG relevant, weil nach Aussagen der Verkehrsverbünde im Verbundgebiet Landkreis Peine die RBB hier kostendeckend ihre Leistungen anbieten kann.
Wäre die PVG zum 31.12.2010 tatsächlich aus dem Verbundtarif ausgeschieden, hätte sie ab 2011 bei der Genehmigungsbehörde, d.h. der LNVG, einen eigenen, auskömmlichen – und damit höheren – Tarif beantragen müssen. Die LNVG muss den Zweckverband anhören. Der Zweckverband hätte dann eine negative Stellungnahme abgegeben, da der Haustarif den Vorgaben aus dem Nahverkehrsplan widersprochen hätte. Der Einspruch des ZGB wäre seitens der LNVG mit hoher Wahrscheinlichkeit berücksichtigt worden, dies aber mit der Bedingung, dass der Zweckverband dem Unternehmen die Mindereinnahmen ausgleicht. Dies hätte durch den ZGB nicht erfolgen können. Der beantragte Haustarif wäre durch die LNVG insofern genehmigt worden.
Um die notwendigen Ausgleichzahlungen zu beziffern musste die PVG nachprüfbare Zahlen über ihre Defizite vorlegen. Die testierten Zahlen wurden dem ZGB vorgelegt. Danach würde das zukünftige Defizit der PVG ca. 290.000,- Euro betragen. Von den 290.000,- Euro sind 170.000,-Euro auf die Änderung der Satzung der Schülerbeförderung im Landkreis Peine zurückzuführen und 120.000,- Euro werden durch den Betrieb selbst entstehen. Von einer Erhöhung der Kosten für die Schülerkarten sieht die PVG bei Ausgleich des Defizits ab.
Der ZGB hatte intern über eine Lösungsmöglichkeit für den Ausgleich der 290.000,- Euro beraten und folgenden Vorschlag unterbreitet:
- Der Landkreis Peine zahlt 150.000,- Euro
- Der ZGB zahlt 140.000,- Euro
Die RBB erhält Ausgleichszahlungen durch den Landkreis Goslar und dem ZGB.
Davon ausgehend, dass ein genehmigter Haustarif der PVG ab 2011 zu einer nicht unerheblichen Erhöhung der Einzeltarife geführt hätte und damit auch eine Kostensteigerung bezogen auf die Schülerbeförderung entstanden wäre, hätte diese dann dem Defizitausgleich gegenübergestellt werden müssen. Dieser Betrag konnte und kann aber nicht genau prognostiziert werden, dürfte aber im sechsstelligen Bereich liegen. Im Schuljahr 2009/2010 haben insgesamt 3.181 Schülerinnen und Schüler die Busse der PVG genutzt.
Mit dem allseits erklärten langfristigen Ziel, den Verbundtarif Region Braunschweig zu erhalten, hat der Kreisausschuss am 08.09.2010 entschieden, für den Defizitausgleich bis zu 150.000 € bereitzustellen.
III. Situationsbeschreibung 2 vorgesehene Fahrplanänderungen der PVG
Mit dem Vertrag zwischen dem ZGB und der PVG wurde geregelt, dass die PVG den VRB auf der Basis des Verkehrsangebotes Stand Fahrplanwechsel 12.12.2010 auf den dazu genannten Linien auch im Zeitraum 01.01.2011 bis 31.12.2011 anwendet. Der jeweils aktuelle Tarif ergibt sich aus den genehmigten Tarifbestimmungen und Fahrpreisen des VRB. Die zu erbringende Fahrleistung wird durch den jeweils genehmigten Fahrplan beschieben. Für den daraus resultierenden Einfluss auf die Kosten und Erlöse der PVG leistet der ZGB einen Zuschuss in Höhe von maximal 290.000 €. Es erfolgen 4 Teilzahlungen in Höhe von 80 % des Zuschusses. Die PVG weist dem ZGB die Höhe des tatsächlichen Einflusses auf die Kosten und Erlöse unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Anhangs zur VO (EG) Nr. 1370/2007 anhand einer Schlussrechnung bis zum 31.03.2012 nach. Der Nachweis ist durch einen anerkannten Wirtschaftsprüfer zu bestätigen.
Sofern das Unternehmen – wie angekündigt – Fahrplanänderungen mit dem Ziel anstrebt, positive Effekte bezüglich der Kosten und Erlöse zu erreichen, hat dies dementsprechend Einfluss auf die tatsächliche Zuschusshöhe.
Die PVG möchte die Fahrplanänderungen nicht trotz der Defizitübernahme durchführen, sondern mit dem Ziel, wirtschaftlich auskömmlich und nachhaltig ein Angebot Aufrecht erhalten zu können und gegebenenfalls auch den Zuschussbetrag zu verringern. Hintergrund dafür sind auch die Folgen der demographischen Entwicklung und vor allem die massive Preiserhöhung für Dieselkraftstoff (Januar 2010 bis Januar 2011 um 17,6 % und bis März 2011 um weitere 31 %).
Besonders die Ankündigungen, einen Fahrplanwechsel bereits nach den Osterferien zu realisieren und inhaltlich, Fahrten zur 2., 5. und 7. Schulstunde zu streichen, haben zu massiver Kritik geführt.
Nach Verhandlungen mit dem Unternehmen ist jetzt vorgesehen, einen Fahrplanwechsel erst zum Schuljahreswechsel 2011/2012 anzustreben und bis dahin Gespräche mit den beteiligten Schulen zu führen.
IV. Situationsbeschreibung 3 Neuordnung der ÖPNV-Finanzierung im VBR
Als neuer Ordnungsrahmen für eine Neuordnung der ÖPNV-Finanzierung gilt die EU-Verordnung 1370/2007. Die Erbringung von ÖPNV-Verkehrsleistungen fällt ohne Ausnahme in den Anwendungsbereich der neuen EU-Verordnung und Linienverkehrsgenehmigungen sind ausschließliche Rechte im Sinne dieser Verordnung.
Für den Landkreis Peine muss zunächst eine Differenzierung zwischen dem klassischem ÖPNV (sogenannter „Jedermannverkehr“), Schülerverkehr (§ 45 a-Mittel nach dem Personenbeförderungsgesetz, Schülerzeitkarten) und freigestelltem Schülerverkehr erfolgen. In der Regel finanzieren die Verkehrsunternehmen (VU) ca. 20 % ihrer Kosten aus Tarifeinnahmen, ca. 80 % der Kosten werden über den Schülerverkehr gedeckt. Die VU erhalten von der LNVG einen fixen Ausgleichsbetrag für die rabbatierte Beförderung (ca. 20 % des Schülerverkehrs; § 45 a-Mittel PBefG). Den Rest trägt der Landkreis Peine als Schulträger.
Das bedeutet z.B.:
- Je höher der Anteil am freigestellten Schülerverkehr ist – den der Landkreis selbst in Auftrag gibt –, desto geringer sind die Einnahmen für die VU aus dem Schülerverkehr allgemein und aus den § 45 a-Mitteln.
- Wenn der Schülerverkehr insgesamt so gestaltet werden kann, dass der freigestellte Schülerverkehr geringer ausfällt, kann das Unternehmen mehr Einnahmen generieren und der Landkreis Peine hätte geringere Ausgaben.
Die Abhängigkeit vom Schülerverkehr ist für die Unternehmen unabhängig von den genannten Pauschalwerten je nach Unternehmensform höchst unterschiedlich:
- städtische Unternehmenca. 20 % Anteil
- Regionalverkehreca. 40 % Anteil
- übrige Unternehmen dabei überwiegend private)über 70 % bis fast 100 % Anteil
V. Ausblick
Denkbar sind zukünftig verschiedene Handlungsszenarien
- Status Quo – keine Veränderung
- neue Tarifstruktur (mit höheren Tarifen) und Fortführung des ÖPNV
- der Schülerverkehr wird ausschließlich freigestellt durchgeführt (dann auch Verzicht auf die § 45 a-Mittel)
- Entwicklung einer Allgemeinen Vorschrift für den Ausgleich der Lasten durch eine „Höchsttarifregelung“ nach VO (EG) Nr. 1370/2007
Die Nrn. 1 und 2. sind offensichtlich keine Alternativen. Denkbar ist entsprechend dem Antrag der Kreistagsfraktion SPD / Bündnis90/Die Grünen vom 25.02.2011 die Gründung einer Nahverkehrsgesellschaft mit dem Ziel, die freigestellte Beförderung der Schülerinnen und Schüler in eigener Zuständigkeit entsprechend der Nr. 3 zu verantworten. Formalrechtlich ist dies möglich.
Sowohl die Gründung einer kommunalen Nahverkehrsgesellschaft (KNVG) als auch eine Direktvergabe werfen umfassende Fragestellungen aus verschiedenen Bereichen auf: Einbindung der LNVG und des ZGB, wettbewerbsrechtliche Fragen, Fragen zur Genehmigungsfähigkeit in Bezug auf die Ausgestaltung des freigestellten Schülerverkehrs im Verkehrsgebiet sowie die jeweiligen Kostenfolgen.
Beide Alternativen für den freigestellten Schülerverkehr würden dazu führen, dass das ÖPNV-Angebot im sogn. „Jedermannverkehr“ nicht mehr zur Verfügung stünde und den VU bezogen auf den Schülerverkehr die wirtschaftliche Grundlage entzogen würde.
Aktuell scheint der Erlass einer allgemeinen Vorschrift zu Höchsttarifen entsprechend der Nr. 4 eine mögliche Alternative zum Status Quo zu sein. Damit würde den Verkehrsunternehmen ein – vergaberechtsfreier – Tarif auferlegt, den sie aus eigenem wirtschaftlichem Interesse nicht anwenden würden. Nach der VO (EG) Nr. 1370/2007 ist die „allgemeine Vorschrift“ eine Maßnahme, die diskriminierungsfrei für alle öffentlichen Personenverkehrsdienste derselben Art in einem bestimmten geografischen Gebiet, das im Zuständigkeitsbereich einer zuständigen Behörde liegt, gilt.
Daraus ergibt sich eine Ausgleichspflicht für den ZGB als die zuständige Behörde und zwar gleichermaßen für öffentliche als auch für private Verkehrsunternehmen. Sie ergibt sich aus der Differenz zwischen den Einnahmen aus dem Tarif, den das Unternehmen aus eigenem wirtschaftlichem Interesse beantragt hätte und den Einnahmen entsprechend dem auferlegten Tarif für ein definiertes Mindestangebot für die Verkehrsleistung.
Das Unternehmen ist verpflichtet, seine Kalkulation offen zu legen. Ein angemessener Gewinn (3 - 5%) darf in der Kalkulation berücksichtigt werden. Eine Überkompensation ist lt. EU-Verordnung nicht zulässig.
Der Zweckverband ist gem. § 9 ZGB-Gesetz i.V.m. § 4 Abs. 5 Niedersächsisches Nahverkehrsgesetz und § 6 NGO berechtigt, allgemeine Vorschriften in Form einer Satzung zu erlassen. Der Landkreis Peine müsste dann ein Vertrags- (Satzungs-) Controlling sicherstellen.
Zu der Gesamtsituation nimmt im Kreisausschuss der Verbandsdirektor des ZGB, Herr Brandes, Stellung und steht für weitergehende Fragen zur Verfügung.