Vorlage - 2016/051
|
|
Die elektronische Gesundheitskarte für Asylbewerberinnen und Asylbewerber wird im Landkreis Peine nicht eingeführt.
Die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) leistungsberechtigten Personen erhalten während der ersten 15 Monate ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland in der Regel Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG sowie gemäß § 4 AsylbLG die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Versorgung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln.
Die Gewährung der Krankenhilfeleistungen erfolgt durch Ausgabe von Behandlungsscheinen, die auf den eingeschränkten Leistungsanspruch hinweisen. Abgerechnet werden diese in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen.
Um einer Diskriminierung der Asylbewerberinnen und Asylbewerber entgegenzuwirken und den Verwaltungsaufwand zu verringern, wird bereits seit einiger Zeit die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für diesen Personenkreis diskutiert.
Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (MS) hat inzwischen trotz erheblicher Bedenken der kommunalen Spitzenverbände mit den Landesverbänden der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eine Rahmenvereinbarung zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte geschlossen.
Aus Sicht der kommunalen Spitzenverbände sprechen folgende Aspekte gegen die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte:
- Eingeschränkter Leistungsanspruch wird nicht gewährleistet:
Die durchschnittlichen Kosten der Krankenversorgung für den genannten Personenkreis beliefen sich in den vergangenen Jahren auf rund 1.320 € pro Person und Jahr. Für die analogen Leistungsberechtigten, die nach Ablauf von 15 Monaten in der Regel den gleichen Anspruch wie gesetzlich Krankenversicherte haben, beliefen sich die durchschnittlichen Kosten hingegen auf rund 2.042 € pro Person und Jahr. Die medizinische Versorgung der Asylbewerber, die den gleichen Anspruch wie gesetzlich Krankenversicherte haben, ist somit im landesweiten Durchschnitt um 50 % teurer. Die Sicherstellung des eingeschränkten Leistungsanspruches ist daher von maßgeblicher Bedeutung. Diese soll bei der elektronischen Gesundheitskarte durch das Statuskennzeichen 9 auf der Karte gewährleistet werden, das aus datenschutzrechtlichen Gründen allerdings nur beim Einlesen der Karte sichtbar wird und für den behandelnden Arzt in der Regel nicht mehr präsent ist. Die GKV prüft die Abrechnung der Ärzte zudem nicht mehr, sondern unterstellt, dass der eingeschränkte Leistungsanspruch beachtet wird. Den Trägern der Sozialhilfe steht anders als bisher kein Beanstandungsrecht und Erstattungsanspruch zu.
- Höhe der Verwaltungskosten:
Die Verwaltungskosten betragen pauschal 8 % der Krankenleistung, mindestens jedoch zehn Euro monatlich pro Person. Die Verwaltungskosten bei Abrechnung der Analogfälle betragen nur 5%; mit der KVN sind derzeit Verwaltungskosten in Höhe von 0,3 Prozent für die Abrechnung vereinbart. Gründe für eine derart hohe Abweichung sind nicht benannt. Auf die Durchschnittskosten der Krankenversorgung von 1320,00 € bezogen betragen 8% rund 100 € jährlich; zu zahlen wären jedoch Mindestverwaltungskosten in Höhe von 120 € pro Person. Bei Fällen mit einer außergewöhnlich hohen Belastung fallen durch die pauschale Regelung zudem absolut unverhältnismäßige Kosten an. Die Kosten für die Krankenbehandlung gemäß § 4 AsylbLG beliefen sich beim Landkreis Peine im Jahr 2015 auf rund 1.000.000 €. Die Tendenz ist steigend - im ersten Quartal 2016 wurden bereits Kosten in Höhe von durchschnittlich 200.000 € monatlich aufgewendet. Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte würde unter Berücksichtigung dieser Aufwendungen zusätzliche Verwaltungskosten in Höhe von deutlich mehr als 100.000 € pro Jahr verursachen, wobei noch keine vermutete Kostensteigerung aufgrund des nicht mehr überprüften eingeschränkten Leistungsanspruches berücksichtigt worden ist.
- Entlastung von Verwaltungsaufgaben
Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte geht mit einem aufwändigen Verfahren hinsichtlich der An-, Änderungs- und Abmeldung der einzelnen Leistungsberechtigten einher. Sofern keine Leistungsberechtigung mehr besteht, hat der Träger der Sozialhilfe die Pflicht, die Karte einzuziehen. Schadenersatzansprüche sind selbst zu verfolgen und für die Durchführung der Widerspruchs- und Klageverfahren sind unabhängig vom Ausgang des Verfahrens die Kosten separat zu erstatten.
Die Einsparung von Verwaltungsaufwand durch Einführung der elektronischen Gesundheitskarte scheint daher fraglich.
- Risiko bei Missbrauch
Die Gültigkeitsdauer der elektronischen Gesundheitskarte beträgt grundsätzlich 24 Monate. Eine Sperrung ist nicht möglich; sofern eine Befristung für einen kürzeren Zeitraum gewählt wird, ist eine Verlängerung nicht möglich. Die Karte muss vielmehr eingezogen und eine neue Karte ausgestellt werden.
Das Risiko des Missbrauchs trägt der Sozialhilfeträger; die im Falle des Missbrauchs entstandenen Kosten sind zuzüglich Verwaltungskosten vollumfänglich zu erstatten.
- „Hildesheimer Modell“
Der Landkreis Hildesheim hat in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen zum 01.01.2016 eine Gesundheitskarte eingeführt. Es handelt sich dabei jedoch um keine elektronische Gesundheitskarte, sondern lediglich um eine Karte, die den Behandlungsschein ersetzt. Die Gültigkeitsdauer der Karte beträgt maximal 6 Monate; auf der Karte wird explizit auf den eingeschränkten Leistungsanspruch hingewiesen, vor der Behandlung ist sie dem Arzt vorzulegen. Die Behandlung ist danach bei zugelassenen Kassenärzten im Landkreis Hildesheim möglich, die über die eingeschränkten Leistungsansprüche des Personenkreises mit dieser Gesundheitskarte informiert sind. Der Einsatz der Karte soll zunächst bis zum 31.12.2017 erprobt werden.
Für die Abrechnung der erbrachten Leistungen ist eine Verwaltungskostenpauschale in Höhe von 1,5 Prozent vereinbart. Die ambulanten medizinischen Leistungen umfassen etwa 90 Prozent des Gesamtvolumens der Krankenhilfeaufwendungen für den Personenkreis. Die KVN verlangt hierfür 1,5 Prozent im Vergleich zu der GKV, die für die Abrechnung der medizinischen Leistungen im Rahmen der elektronischen Gesundheitskarte acht Prozent erhält.
Erfahrungen bzw. Ergebnisse liegen aufgrund der kurzen Einsatzzeit der Karte noch nicht vor. Eine Nachfrage des Landkreises Peine bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen hat ergeben, dass eine Ausweitung des Modellversuchs auf andere Landkreise nicht vorgesehen ist. Eine Übernahme dieses Modells käme für den Landkreis Peine mithin erst zu einem späteren Zeitpunkt in Betracht.
Fazit:
Das geplante Verfahren ist nicht geeignet, da die Kosten unverhältnismäßig hoch sind, das Verfahren hinsichtlich der An-, Änderungs- und Abmeldung aufwändig ist, zu einem höheren Verwaltungsaufwand führt, der gesetzlich vorgesehene, eingeschränkte Leistungsanspruch nicht mehr gewährleistet wird und aufgrund der langen Gültigkeitsdauer der Gesundheitskarten zudem ein erhöhtes Missbrauchsrisiko besteht.
Aus diesen Gründen hat niedersachsenweit bisher kein einziger Sozialhilfeträger die elektronische Gesundheitskarte eingeführt; eine aktuell in den Frühjahrssitzungen der Sozialamtsleiterrunden der ehemaligen Regierungsbezirke durchgeführte Befragung hatte vielmehr zum Ergebnis, dass die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte auch nirgendwo geplant ist.
In Nordrhein-Westfalen, das mir seiner Landesrahmenvereinbarung „Pate“ für Niedersachsen gestanden hat, ist das Interesse ebenfalls sehr verhalten. Von den 396 Städten und Gemeinden, die in NRW für den Vollzug des AsylbLG zuständig sind, haben lediglich 16 Gebietskörperschaften ihren Beitritt erklärt.
Verfahrensvereinfachungen:
Beim Landkreis Peine wurde das Verfahren hinsichtlich der Ausgabe der Krankenscheine inzwischen modifiziert. So können die Leistungsberechtigten seit April 2016 ohne Terminvereinbarung täglich (außer mittwochs) in der Zeit von 8.30 – 12.00 Uhr, sowie am Montag und Dienstag in der Zeit von 13.30 – 16.00 Uhr und am Donnerstag in der Zeit von 13.30 – 17.00 Uhr vorsprechen und einen Behandlungsschein in Empfang nehmen.
Aktuelle Vertragsverhandlungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung haben zudem zum Inhalt, dass künftig nicht mehr alle Überweisungen zur fachärztlichen Weiterbehandlung genehmigt werden müssen.