Auszug - Untersuchung von Devianz zeigenden Jugendlichenund jungen Erwachsenen (Technische Universität Braunschweig: Dr. Herbert Scheibe/Julia Schmidt)
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Wortprotokoll |
Dr. Herbert Scheibe vom Institut für Sozialwissenschaften (ISW) der Technischen Universität Braunschweig erläutert zunächst den Auftrag der Studie (Anmerkung des Protokollführers: Die Präsentation ist dem Protokoll als Anlage beigefügt.). Dabei geht er besonders auf die Zielgruppe, die Erklärungsmuster, die Wirkung der Hilfsangebote und die Chancen der Re-/Integration ein. Anschließend fährt er mit einer Darstellung der Vorgehensweise fort.
Frau Julia Schmidt von der Technischen Universität Braunschweig übernimmt und erläutert die Ergebnisse der Befragung von insgesamt dreiundzwanzig Jugendlichen, von denen vierzehn männlich und neun weiblich sind. Als besonders wichtiges Ergebnis hebt sie die Berufswünsche der Jugendlichen hervor: Während sich die weiblichen Jugendlichen für die sozialen Berufe wie z.B. Arzthelferin entscheiden würden, streben die männlichen Jugendlichen handwerkliche oder technische Berufe an. Dabei sei jedoch eine erhebliche Realitätsferne festzustellen. Diese äußere sich z.B. dadurch, dass ein Hauptschüler ein Studium der Tiermedizin anstrebe.
Zusammenfassend stellt sie fest, dass die Jugendlichen eine Form von deviantem Verhalten zeigen, jedoch keine deviante Haltung. Dies äußere sich in einem zeitweisen Verlassen der Normansprüche oder einem zeitweisen Versagen gegenüber Normansprüchen. Die Ursachen seien meistens im familiären Bereich zu finden.
Anschließend stellt Dr. Herbert Scheibe das Verhältnis der Jugendlichen und der entsprechenden Institutionen dar. Dabei betont er, dass die Einrichtungen engagiert arbeiten, ein vielfältiges Angebot vorhalten und untereinander gut vernetzt sind. Als Empfehlung gibt er für die Institutionen eine professionellere Vernetzung der verschiedenen Einrichtungen ab. Zudem empfiehlt er eine Weiterentwicklung der bestehenden Projekte und das Planen von gemeinsamen Projekten. Dabei komme der Langfristigkeit eine große Bedeutung zu. An die Empfehlungen schließt Dr. Herbert Scheibe eine Auflistung der Erfolgsfaktoren, die für die Zukunft der Jugendlichen wichtig seien, an. Abschließend weist er als Beispiel für eine gelungene Umsetzung der Empfehlungen auf den Lehrbauernhof hin. Damit seien bislang gute Erfolge erzielt worden.
KTA Schlaugat zeigt sich skeptisch bezüglich der Einrichtung eines Lehrbauernhofes und verweist auf gescheiterte Segeltörns für straffällige Jugendliche. Sie begehrt zu wissen, ob der Lehrbauernhof ein theoretisches Modell sei oder ob es praktische Erfahrungen gebe.
Dr. Scheibe antwortet, dass es sich bei den Segeltörns um besondere Maßnahmen gehandelt habe, die nichts mit dem Alltag zu tun haben. Er teile daher die Skepsis gegenüber diesen Maßnahmen. Anders verhalte es sich jedoch mit den Lehrbauernhöfen. Durch den direkten Bezug zum Alltag sei das Erleben anders und gegebenenfalls die Sanktionsmöglichkeiten besser.
Die Gleichstellungsbeauftragte, Frau Tödter, wünscht zunächst zu wissen, nach welchen Kriterien die Jugendlichen ausgewählt worden sind. Außerdem möchte sie wissen, welche Institutionen in die Studie einbezogen worden sind und ob es Unterschiede in der Devianz von männlichen und weiblichen Jugendlichen gebe.
Frau Schmidt antwortet, dass für die Auswahl der Jugendlichen das Alter sowie gegebenenfalls der ALG-II-Bezug als Kriterien gedient haben. Das Aussuchen erfolgte durch Stichprobenkontrollen der Treffpunkte. Bezüglich der einbezogenen Institutionen verweist sie auf die entsprechende Folie (Anmerkung des Protokollführers: Siehe Seite 5 der Anlage.). Bezüglich des devianten Verhaltens seien zwischen den männlichen und weiblichen Jugendlichen keine Unterschiede festgestellt worden.
BV Arnold stellt die Frage, ob von Jugendlichen die Teilnahme an der Studie auch abgelehnt worden sei.
Frau Schmidt bestätigt, dass einige Jugendliche die Teilnahme abgelehnt haben. Ein Großteil von ihnen habe sich aber gemeldet, sei dann jedoch nicht zu den Gesprächen erschienen. Ursprünglich sei die Zahl von dreißig teilnehmenden Jugendlichen angestrebt worden, aber letztlich sind es dreiundzwanzig geworden.
Dr. Scheibe ergänzt, dass bei solchen Untersuchungen ein Ausfall von 45% normal sei.
KTA von Schwartz fragt nach, ob bereits ein Lehrbauernhof gegründet worden sei. Sie verweist auf ihre Zugehörigkeit zur Landwirtschaft und vertritt die Auffassung, dass in einem normalen Betrieb die Einbeziehung von devianten Jugendlichen nicht möglich sei.
Dr. Scheibe bestätigt, dass ein Lehrbauernhof nicht am landwirtschaftlichen Wettbewerb teilnehmen könne. Das Modell strebe die Gewöhnung der Jugendlichen an feste Strukturen, Prozesse und Abläufe an, habe also eine andere Zielsetzung. Außerdem bestätigt er, dass es dieses Modell bereits in der Praxis gebe.
BV Weigand verweist zunächst auf ihre sozialpädagogische Berufsausbildung und erklärt, dass es in der Erlebnispädagogik sehr viele gute Projekte gebe, zu denen auch die Segeltörns gehören. Es seien ganz erfolgreiche Projekte, sofern ihnen ein ordentliches Konzept zugrunde liege. Anschließend wünscht sie die Anzahl der teilnehmenden Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erfahren.
Frau Schmidt beziffert die Zahl dieser Gruppe auf vier bis fünf Personen. Damit sei sie unterrepräsentiert, aber weil die Untersuchung während der Sommerferien stattgefunden habe und viele Jugendliche im Urlaub gewesen seien, konnte keine stärkere Einbindung erfolgen.
KTA Fechner fragt an, wie die Jugendlichen auf den Lehrbauernhof kommen, denn auf freiwilliger Ebene sei sicher kein Interesse zu erwarten.
Dr. Scheibe stimmt zu, dass mit Zwang nichts zu erreichen sei. Ansonsten widerspricht er dem mangelnden Interesse und führt das große Interesse der Jugendlichen an Familie, Tieren und Strukturen an. Man müsse daher bei den Interessen ansetzen und dabei auch die versteckten Interessen wecken und berücksichtigen.
Frau Schmidt ergänzt, dass der Aufgabenbereich auf einem Lehrbauernhof breit gefächert sei und neben der Viehhaltung auch Bürotätigkeiten und handwerkliche Bereiche wie beispielsweise Schlosser umfasse.
KTA Meyermann erklärt, dass es mit dem Projekt Eixer See so ein ähnliches Projekt wie einen Lehrbauernhof im Landkreis Peine bereits gegeben habe. Bei der Darstellung der Studie vermisse sie jedoch eine Perspektive zu den Arbeitgebern. Diese müssen nach ihrer Meinung ebenfalls einbezogen werden. Außerdem stelle sich die Frage, was nun weiter geschehen solle.
KTA Schlaugat fragt nach den Vermittlungsergebnissen von Lehrbauernhöfen.
Dr. Scheibe entgegnet, dass das Modell des Lehrbauernhofes den Jugendlichen im Wesentlichen Strukturen und das Wissen, dass sich Arbeit nicht immer sofort, sondern erst mit zeitlicher Verzögerung lohne, vermitteln solle. Dabei könne man unterschiedliche Ausbildungen generieren und auch Kontakte zu Arbeitgebern knüpfen. Die Gewöhnung an Strukturen sei jedoch das zunächst vorherrschende Ziel.
BV Weigand unterstützt die Aussage von Dr. Scheibe und fügt hinzu, dass gerade über Tiere viel erreicht werden könne. Der Umgang mit ihnen sei ein sehr guter Nährboden zum Erlernen von Schlüsselkompetenzen.
KTA Jütte wirft die Frage auf, was zur Beseitigung der beruflichen Realitätsferne getan werden müsse.
Dr. Scheibe antwortet, dass es zunächst wichtig sei, die Jugendlichen in Strukturen zu bringen, z.B. durch die Einhaltung eines Tagesablaufes mit regelmäßiger Nahrungsaufnahme und anderen Dingen. Des Weiteren müssen ihnen zeitliche Prinzipien und Ordnungsprinzipien nahegebracht werden.
Die Gleichstellungsbeauftragte, Frau Tödter, fragt nach den Unterschieden zwischen männlichen und weiblichen Jugendlichen. Gerade bei türkischen Jugendlichen seien diese augenfällig.
Dr. Scheibe entgegnet, dass die Präsentation keine detaillierte Darstellung der Ergebnisse beinhalte, sondern nur die wesentlichen Elemente vorstelle. Der Bericht enthalte natürlich tiefer gehende Informationen.
FBL Dr. Buhmann fasst den Vortrag und die anschließende Diskussion zusammen und stellt fest, dass sich Jugendliche ohne Strukturen an etlichen Orten im Kreisgebiet aufhalten. Die vom Fachdienst Arbeit in Auftrag gegebene Studie belege, dass es eine Form von deviantem Verhalten gebe, aber keine deviante Haltung. Dies sei insoweit positiv. Des Weiteren zeige die Studie, dass deviante Jugendliche praktische Tätigkeiten brauchen, wie z.B. auf einem Lehrbauernhof. Die Verwaltung müsse nun über Maßnahmen, mit denen deviante Jugendliche erreicht werden können, nachdenken. Da die Zielgruppe Jugendliche seien, werde die Studie auch im Jugendhilfeausschuss vorgestellt. Die Präsentation im Ausschuss für Frauen, Arbeit und Soziales sei erfolgt, weil Fachdienst Arbeit der Auftraggeber der Studie sei.
Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließt der Vorsitzende, KTA Möhle, diesen Tagesordnungspunkt.